Breiholz – Bernhard von Oberg war überrascht, als er vor einigen Tagen bei einem Besuch in Travemünde die Kinderstube einiger Rauchschwalben entdeckte: Die flinken Insektenjäger brüten in diesem Jahr im Hotel Maritim.
Nicht in einer Suite mit Ausblick aufs Meer, sondern in der lärmigen Tiefgarage mitten zwischen ein- und ausparkenden Autos. Ein Einzelfall? Nein. Rauchschwalben können sogar noch extremer, weiß Bernd Koop von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft Schleswig-Holstein. «Die Rauchschwalbe ist wohl unser findigster Brutvogel», sagt der Vogelkundler aus Plön. «Sie musste im Laufe ihrer Koexistenz mit Menschen schon einiges lernen – manchmal verblüfft ihre Anpassungsfähigkeit.»
Der Wissenschaftler hatte seinen Vogelfreunden 2013 von einem Schwalbenpaar berichtet, das in der automatischen Waschstraße einer Tankstelle sein Nest gebaut hatte. «Dort, wo das Wasser wild spritzt, die Bürsten rotieren, das Warmluftgebläse Sturm erzeugt und auch der Lärm nicht unerheblich ist.» Zwar hatten die Schwalbeneltern ihr Nest hinter einem Metallträger einigermaßen geschützt gebaut, erzählt Koop. «Aber Sprühregen erlebten die Jungen wohl täglich mehrfach.»
Doch das stört die Rauchschwalbe offensichtlich nicht. Der kleine Vogel mit der rotbraunen Kehle war ursprünglich ein Höhlenbrüter. Doch folgt er dem Menschen schon seit Urzeiten, baut sein Nest in seinen Stallungen und Scheunen: Eine nach oben offene Konstruktion aus lehmhaltiger Erde, die mit Speichel zusammengeklebt wird. Verstärkt wird das Lehm-Nest mit Stroh und anderen Halmen, ausgepolstert mit Gras und Federn.
Nicht nur in Schleswig-Holstein sind viele Stallanlagen heute verschlossen. «Rauchschwalben müssen einfach flexibel sein», erklärt Koop: «Sie machen fast alles mit: Hauptsache, sie können ungehindert anfliegen, und der Brutplatz ist einigermaßen wettergeschützt.»
So kann der Ornithologe schon einmal beobachten, wie abends in der Waschanlage drei Schwalben-Junge, statt zu schlafen, auf einem der vielen Metallträger sitzen, während das Männchen singt. «Obwohl es draußen schon dunkel ist, doch die Waschstraße ist bis 22.00 Uhr beleuchtet.»
«Ein weiteres bemerkenswertes Paar brütet schon zum wiederholten Male unter einer Holzbrücke am Sehlendorfer See. Täglich trampeln hunderte von Spaziergänger über das wenige Zentimeter unter den Laufbrettern befindliche Nest», weiß Koop.
Auch andere Vogelfreunde berichteten ihm von «Extremfälle». Da ist zum Beispiel die Fähre Breiholz über den Nordostseekanal. Auf beiden Seiten brüten dort seit Jahren mehrere Rauchschwalben-Paare unter den Anlegern der Fähre. Die Nester befinden sich auf den Trägern der Stahlkonstruktion. «Wenn sich die Ausleger beim An- und Ablegen der Fähre bewegen, wird das Nest jedes Mal um 90 Grad gekippt.»
An den Anlegern der Lübecker Priwall-Fähre brüten ebenfalls Schwalben. Sie stören sich nicht daran, dass der Fährbetrieb rund um die Uhr läuft. Und auf der Autofähre Lenzen-Pevestorf brüteten vier bis fünf Rauchschwalben-Paare unter der Metallrampe für das Auf- und Abfahren von der Fähre: «Auch in diesem Jahr.» Die Fähre hat dafür bereits vom NABU eine kleine Auszeichnung als «schwalbenfreundlicher Betrieb» bekommen, ebenso wie der Westküstenpark in St. Peter-Ording. Dort «kleben» die Nester der kleinen Vögel unter den Dächern von Unterständen nur wenige Hand breit über den Köpfen der Besucher.
Im Hansapark in Sierksdorf wachsen Rauchschwalben unter anderem innerhalb der Wildwasser- und der Loopingbahn auf, und einmal brüteten die Vögel sogar in einer Herrentoilette über dem Urinal. «Der Einflug war nur über zwei Türen möglich», sagt Koop. Und Im Freibad in Malente war der Drei-Meter-Sprungturm die Kinderstube der Schwalbe: Das Nest befand sich direkt unter der Auflage des Wippbrettes.
Besonders hart im Nehmen war ein Flensburger Rauchschwalben-Paar, dass während des Erweiterungsbaus des Einkaufzentrums Citti-Park sein Nest unter der Betondecke der zukünftigen Verkaufsflächen errichtet. «Je weiter der Bau voranschritt, desto haariger wurde es für die Schwalben, zu ihrem Nest zu gelangen. Sie mussten circa 20 Meter im Gebäude zurücklegen, durch ein auch für die Arbeiter schwer zu ertragendes Chaos aus Lärm, Staub, Qualm und umherlaufenden Handwerkern.»
Die Außenwände schlossen sich Stück für Stück, Türen und Fenster wurden eingebaut, und letztendlich unter der Betondecke eine abgehängte Decke eingezogen. «Für die Schwalben wurden wochenlang ein bis zwei 60 mal 60 Zentimeter große Deckenplatten draußen gelassen, diese Öffnungen wurden dann tapfer und zielsicher angesteuert.»
Doch Rauchschwalben sind offenbar nicht überall so angepasst. So berichtete ein Vogelliebhaber, dass in Südengland diese Art recht selten außerhalb von Scheunen und ähnlichem brütet. Er habe lediglich zwei Paare innerhalb einer Wasserschleuse entdeckt, sagt Koop.
Doch das ist nicht alles, erklärt Koop: «Es gibt darüber hinaus Schilderungen, dass Rauchschwalben für ihren Zug über die Alpen die Tunnel nutzen.»
Fotocredits: Carsten Rehder
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