Berlin – Mütter opfern sich für ihre Kinder selbstlos auf – das ist die gängige Deutung von Mutterliebe. Wissenschaftler betrachten dieses tiefe Gefühl ein wenig nüchterner.
Es sei kaum mehr als ein Trick der Natur, von der Evolution erdacht, damit sich Frauen rund um die Uhr um ihren Nachwuchs kümmern. Tiermütter geben davon ein Beispiel: «Die Aufzucht der Nachkommen ist für die Tiere überlebenswichtig, entsprechend hohe Opfer bringen viele Tiermütter», sagt Arnulf Köhncke, Artenschutzexperte bei der
Umweltschutzorganisation WWF.
Im Laufe ihrer Entwicklung entwickelten Tiere verschiedene Methoden, um ihrem Nachwuchs einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. «In der Evolution zählt die Fitness, das meint grob gesprochen die Anzahl der überlebenden Nachkommen», erklärt Köhncke. Biologe und Autor
Mario Ludwig nennt zwei, in der Tierwelt verbreitete Strategien: «Je mehr Nachkommen ein Weibchen hat, desto weniger muss es sich kümmern.» Bei Arten mit nur einem oder wenigen Jungen sei hingegen eine gute Brutpflege nötig.
Aus menschlicher Perspektive betrachtet, könnte man im Tierreich also zwar von liebevollen und Rabenmüttern sprechen, beschreibt dabei aber nur unterschiedliche Strategien der Fortpflanzung. Außerdem tut man dem Raben damit Unrecht: Denn auch wenn deren Nachwuchs flügge ist, kümmern sich beide Eltern noch Wochen um die Kleinen.
Wenn schon, dann hätten sich eigentlich die Storche den Ruf als Rabenmütter verdient, sagt Ludwig. Weibchen, insbesondere erstbrütende Störche mit fehlendem Brutinstinkt, werfen ab und zu das schwächste Küken aus dem Nest oder fressen es sogar auf. Das mag brutal erscheinen. Aber der Evolution folgend dient es nur dazu, die eigenen Anstrengungen auf die Küken mit guten Überlebenschancen zu konzentrieren. Diese Verhaltensweise wird als «Infantizid» bezeichnet, im Falle des damit verbundenen Kannibalismus sogar als «Kronismus», nach dem Titanen Kronos, der der griechischen Sage zufolge seine Kinder verschlang.
Wer die beste Mutter im Tierreich ist, darüber kann man sich streiten. «Für mich ist das die
australische Krabbenspinne Diaea ergandros», begeistert sich Ludwig: «Wer sein Leben für seine Kinder opfert, muss eine gute Mutter sein». Die Weibchen legen im Frühjahr etwa 40 Eier, aus denen im Sommer Jungtiere schlüpfen. In dieser Zeit fängt die Mutterspinne Insekten, die sie an ihre Jungtiere verfüttert, aber auch selbst frisst, um sich einen gewaltigen Bauch zuzulegen.
Wenn es im Winter nichts mehr zu fangen gibt, dient die Mutter als lebende Vorratskammer: Sie wird von ihrer Brut gefressen. Dieses Verhalten soll möglichst viele überlebende Nachkommen sichern. «Nur so wird verhindert, dass die Jungen sich gegenseitig auffressen. Spinnen neigen zu Kannibalismus», erklärt Ludwig.
Ein derart extremes Beispiel stellt auch die Kellerspinne dar. Auch bei dieser Art stirbt das Muttertier, damit ihre Nachkommen sie fressen können. «Die Spinne legt in die Eierablage ihre gesamte Energie, die Jungspinnen schlüpfen, das Muttertier stirbt, der Leichnam löst sich auf und die Jungtiere nutzen die Mutter als Nahrungsquelle», erläutert Köhncke.
Eine eher exzentrische Art von Mutterliebe zeigen die
Bonobos, die kleinsten Menschenaffen. Bei ihnen unterstützt die Mama ihren Sohn sogar beim Sex. Eigentlich ist beim Geschlechtsakt das ranghöchste Männchen als Erstes dran. Die Mutter eines rangniedrigen Bonobos greift deshalb ein. «Sie hält einfach den ranghöheren Konkurrenten fest, damit Bonobo-Sohnemann auch mal zum Zug kommt», erzählt Ludwig. Weil die Tiere häufig Konflikte mit Sex lösen, werden sie auch «Hippie-Affen» genannt.
Bei manchen Tierarten ist aber auch Oma die Größte, etwa bei Elefanten und Orcas, den Schwertwalen. Die Großmütter beschützen ihre Enkel und passen auf sie auf. Bei einer Elefantenherde hat die Leitkuh das Sagen, meist eine der Großmütter.
Die faulste Mutter ist eindeutig das
Kuckuck-Weibchen. Es legt sein Ei einfach in die Nester anderer Vogelarten, um es ausbrüten zu lassen. Danach kann sich das Weibchen den schönen Dingen des Lebens widmen. Damit der Schwindel nicht auffliegt, wird das Ei denen der Wirtsvögel farblich angepasst. «Dieser Brutparasitismus ist eine Strategie, dem Nachwuchs die besten Voraussetzungen zu geben», erklärt Ludwig.
Eher desinteressiert geben sich Mütter mit vielen Nachkommen. Sie haben die Vorgaben der Natur zur Maximierung ihrer Fortpflanzung erfüllt, wie zum Beispiel der
Mondfisch. Er legt pro Laichgang bis zu 300 Millionen Eier und kümmert sich nicht weiter. Denn einige Eier wachsen bestimmt zu Fischen heran.
Besonders effizient beim Kinderkriegen sind auch
Seepferdchenweibchen. Das ausgiebige Liebes-Vorspiel machen sich die Weibchen zunutze, um ihre Eier in eine spezielle Brusttasche der Männchen zu spritzen. «Damit ist es für das Weibchen erledigt und es geht in Mutterschaftsurlaub», sagt Ludwig. Schwangerschaft und Geburt bleiben den Männern überlassen. Je nach Art entlassen diese bis zu 1500 sofort selbstständige Junge ins Meer. Spätere Brutpflege ist unnötig.
Fotocredits: Steffen Trumpf,Friso Gentsch,Patrick Pleul,Boris Roessler
(dpa)
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