Stuttgart – Es ist zwei Uhr nachts, als die Polizei an Marion Wünns Tür klingelt. Die Leiterin des Stuttgarter Tierheims traut ihren Augen kaum, als sie sieht, was die Beamten ihr mitbringen:
Es sind mehr als 100 Hunde und Katzen, die eingepfercht in einem aus der Slowakei kommenden Transporter entdeckt und befreit wurden. Eine Routinekontrolle der Autobahnpolizei hat die unfreiwillige Reise der Bulldoggen, Möpse, Labradore und britischen Kurzhaarkatzen nach Spanien abrupt beendet.
Die folgenden 24 Stunden hat Marion Wünn keine ruhige Minute, an Schlaf ist nicht zu denken. In größter Eile trommelt sie ihre Pfleger zusammen, holt ihren Sohn aus dem Schlaf, verlegt Tiere in ihre Ausläufe, reinigt Boxen und bereitet in Rekordzeit die größte Quarantäne-Station vor, die ihr Haus je gesehen hat.
Dass mehrere Tiere an den Folgen der Torturen des Transportes sterben, können auch die Pfleger trotz ihres tagelangen Rund-um-die-Uhr-Einsatzes nicht verhindern. Gut zwei Wochen nach dem Transport sind fünf Hunde und sieben Katzen tot, gestorben an einem stressbedingten Lebersyndrom sowie der Viruskrankheit Parvovirose.
Was sich in Stuttgart abgespielt hat, ist kein Einzelfall, wenige Tage später flog ein weiterer illegaler Transport bei Esslingen auf. Vor allem in grenznahen Regionen – wie im Raum Freiburg und in Teilen Bayerns – werden immer wieder Großtransporte aus dem Verkehr gezogen, die meistens stammen aus Osteuropa. Tendenz: steigend.
Während im Jahr 2016 laut Statistik des Deutschen Tierschutzbundes 495 Hunde bei Kontrollen beschlagnahmt wurden, waren es im vergangenen Jahr bereits 628. Zählt man die anderen bei diesen Transporten entdeckten Tiere – darunter auch viele Vögel, Mäuse und Meerschweinchen – hinzu, fiel der Anstieg noch deutlich drastischer aus: Ihre Zahl verzehnfachte sich im gleichen Zeitraum annähernd von gut 1100 auf fast 11 000.
«Man kann davon ausgehen, dass dies tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs ist», sagt die Sprecherin des Tierschutzbundes, Lea Schmitz. Gezielte Kontrollen der Polizei gibt es kaum, deshalb sind die entdeckten Fälle oft eher zufällige Treffer. «Wir stehen nicht an der Straße und fangen Transporter ab», sagt Günter Weiß vom Polizeipräsidium Freiburg. Man sei bei der Verfolgung auf Hinweise der Veterinärämter oder von Privatleuten angewiesen.
Doch selbst wenn die illegalen Transporte auffliegen, sind die Händler oft schwer greifbar und die strafrechtliche Verfolgung begrenzt. Der Tierschutzbund spricht von einer «Welpenmafia». Der Berliner Bundestagsabgeordnete Kai Wegner (CDU) hatte im März gefordert, einen eigenen Straftatbestand des illegalen Welpenhandels einzuführen, damit Händler härter bestraft würden.
Die gehandelten Tiere werden oft unter miserablen Bedingungen in Osteuropa gezüchtet und illegal verkauft. Spitzenreiter ist bei den vom Tierschutzbund erfassten Fällen Rumänien, gefolgt von Ungarn und Serbien. Eigentlich ist für Welpenhandel eine Erlaubnis der Behörden erforderlich – diese macht Vorgaben zu Haltung, Betreuung, Transport und zu Impfungen.
Die illegal gehandelten Tiere werden oft viel zu früh von ihren Eltern getrennt, haben dadurch ein schwaches Immunsystem und erkranken schnell. Agrarpolitiker und Tierschützer warnen davor, auf dubiose Verkaufsangebote hereinzufallen – besonders bei sehr niedrigen Preisen oder fehlenden Papieren solle man stutzig werden, raten die Experten.
Viele kriminelle Züchter verramschen ihre tierische Ware im Internet. Besonders Plattformen wie Ebay Kleinanzeigen werden dafür genutzt – für die Tierschutzorganisation «Vier Pfoten» Grund für eine Petition. Sie fordert das Portal auf, in der Tier-Kategorie eine verpflichtende Identitätsprüfung der Verkäufer vorzunehmen. Die Anzeigen-Plattform lehnt das jedoch ab. «Damit ist das Problem nicht in den Griff zu bekommen», sagte Pierre du Bois, ein Sprecher von Ebay Kleinanzeigen. Die illegalen Tierhändler seien hochkriminell und schreckten nicht davor zurück, falsche Identitäten zu verwenden.
Die vom Stuttgarter Tierheim gepflegten Hunde und Katzen dürfen im Südwesten bleiben, wie Stadt und Agrarministerium beschlossen. «Die Transportbedingungen, der schlechte Pflegezustand der Tiere und das verfrühte Trennen von den Muttertieren sind ein klarer Verstoß gegen das Tierschutzrecht», heißt es zur Begründung.
Marion Wünn hat alle Mitarbeiter und Aushilfen aus ihrer Freizeit geholt, um für jedes einzelne Tierleben zu kämpfen. Für sie stand von Anfang an fest: «An die Händler gebe ich die Tiere niemals zurück. Nur über meine Leiche.»
Fotocredits: Marion Wünn
(dpa) (dpa)