Hilpoltstein – Die Trendsportart Stehpaddeln kann laut einer Studie zur Gefahr für Wasservögel werden. Sie werden davon aufgeschreckt und verlassen zum Teil das Wasser. Vor allem im Winter kann das für die Tiere ein Problem sein.
Das sogenannte Stand-up-Paddling (SUP), bei dem die Sportler mit einem Paddel auf einer Art Surfbrett stehen, habe verglichen mit anderen Wassersportarten wie Rudern oder Segeln eine «überdurchschnittlich hohe Störwirkung» auf die Tiere, sagt Matthias Bull, der im Auftrag des Landesbundes für Vogelschutz (LBV)
eine Masterarbeit über das Thema geschrieben hat. Noch stärker würden die Tiere nur von Motorbooten gestört.
Hohe Fluchtdistanzen
Durch Stehpaddler gestörte Vögel flögen bereits auf, wenn der Sportler noch weit entfernt sei. «Die höchste nachgewiesene Fluchtdistanz durch SUP gab es am Bodensee», berichtet Bull. Dort habe ein Stehpaddler aus 1,5 Kilometern Entfernung einen ganzen Trupp Kolbenenten aufgeschreckt. Die Tiere flögen oft weite Strecken, bevor sie wieder landeten. Auch verließen sie das Gewässer häufiger ganz als beim Kontakt mit anderen Sportlern.
Bull hat vor allem die Wintermonate in Bayern untersucht – in den Jahren 2016/2017 und 2017/2018 jeweils den Zeitraum von September bis April. Denn etwa von November an tummeln sich große Wasservogeltrupps auf den Gewässern im Freistaat. Sie kommen aus dem Norden und Nordosten, um zu überwintern oder weiter nach Süden zu ziehen. Laut LBV tummeln sich an einem durchschnittlichen Dezembertag mehr als 150.000 Vögel auf den Seen und Flüssen des Freistaates.
Beobachtungen mit dem Auge und der Kamera
46 Vogelbeobachter aus 19 Regionen haben Protokollbögen ausgefüllt, die Bull für seine Arbeit an der Hochschule Anhalt genutzt hat. Zusätzlich konnte Bull Daten von drei Kameras auswerten, die am fränkischen Rothsee und am Starnberger See südlich von München standen.
Im Beobachtungszeitraum wurden so 104 Störungen durch SUP und 260 durch andere Wassersportarten erfasst. «Es gab auch Störungen außerhalb des Auswertungszeitraumes», sagt der 28-Jährige. So habe etwa ein Höckerschwan im Sommer sein Gelege aufgegeben, als Stehpaddler am Seehammer See mit einem Hund zu einer Insel fuhren, auf welcher der Schwan brütete.
Geschwächte Tiere im Winter
Das Aufschrecken der Tiere sei im Winter aber ein besonderes Problem. Wenn die Tiere zu viele Fettreserven verbrauchten, kehrten sie geschwächt in ihre Brutgebiete in Island, Skandinavien oder Sibirien zurück. Unter den durch SUP gestörten Vögeln waren auch gefährdete Arten wie Samtente, Eistaucher oder Zwergschwan. Zwar seien im Winter deutlich weniger Paddler unterwegs als im Sommer, sagt Bull. Dank Neopren-Anzügen sei der Sport aber auch bei Kälte möglich.
Möglicherweise reagierten die Vögel auf Stehpaddler empfindlicher, weil die menschliche Silhouette hier klar erkennbar ist. «Außerdem hat der Fahrer etwas Langes in der Hand», sagt LBV-Vogelkundler Thomas Rödl, der Bulls Arbeit betreut hat. Für die Vögel könnten sie wirken wie Jäger. «Das ist aber nur eine Vermutung, der man nachgehen muss.» Gewöhnungseffekte wie bei Fähren könnten beim SUP nur schwer einsetzen, weil die Paddler keine festen Routen und Zeiten haben.
Zu nah am Ufer unterwegs
Die meisten Probleme gab es in Ufernähe, weil sich die Sportler oft an den Seerändern orientieren, sagt Bull. Außerdem müssen die Paddler diesen Teil durchfahren, um in Richtung Seemitte zu kommen. Gleichzeitig suchen viele Vögel in seichtem Gewässer nach Nahrung.
«Störereignisse gab es vor allem im südbayerischen Raum – an Starnberger See, Ammersee, Bodensee, Chiemsee, aber auch im fränkischen Seenland sowie an den Flussstaustufen von Lech und Donau», sagt Bull. An vielen Seen überschritten Wassersportler zudem die Grenzen von Naturschutzgebieten, was noch problematischer sei.
Laut Rödl gab es bisher kaum Daten zu den Auswirkungen des Stehpaddelns auf die Tierwelt. Dabei gebe es den Trendsport inzwischen fast an jedem Gewässer. Damit tauchten auch immer mehr kritische Stimmen von Vogelschützern auf, die von Störungen berichteten. Bulls Ergebnisse ließen sich grundsätzlich auch auf andere Gewässer übertragen, hieß es.
Sportler besser informieren
Verteufeln will Bull SUP nicht. «Es sollte aber naturverträglich sein», fordert er. «Viel zu viele Menschen betrachten die Natur nur als Kulisse. Sie ist aber mehr. Daher ist es wichtig, dass jeder, der rausgeht, weiß, dass er eine Verantwortung trägt.» Helfen könne eine bessere Information der Sportler – etwa über die Verleiher. Denn die wenigsten Stehpaddler sind in Vereinen organisiert – anders als Ruderer oder Segler. Auch ein Schein ist für den Sport nicht nötig.
«Die meisten Störungen passieren unabsichtlich», sagt Bull. Mit Aufklärung könne man daher viel erreichen. Mindestens 300 Meter Abstand müsse ein Stehpaddler zu einem Trupp Wasservögel einhalten. Auch die Beschilderung und Markierung von Naturschutzgebieten müsse besser werden. Eindeutig gegen das Stehpaddeln spricht sich Bull während der Nacht aus – etwa am Bodensee sei das ein Trend.
Beliebte Sportart im Sommer
Christian Hahn von der Stand Up Paddle Association schätzt, dass es mehr als 500.000 Bretter in Deutschland gibt. In seinem Verband sind vor allem Sportler organisiert, die an Wettkämpfen teilnehmen. Eliane Droemer, die einen SUP Club in Tutzing am Starnberger See betreibt und Pressearbeit für einen Hersteller macht, schätzt, dass dieses Jahr rund 60.000 SUP-Bretter hierzulande verkauft wurden.
Beide sind der Meinung, dass im Winter kaum Stehpaddler auf den Gewässern unterwegs sind. Droemer sagt: «Effektiv wird von dem Großteil der Freizeitpaddler drei Monate im Jahr gepaddelt: Juni bis August.» Fachhändler und SUP-Schulen hätten ein großes Interesse, ihre Kunden zu informieren – auch zu Befahrungsregeln von Gewässern. Denn sie wollten, dass sich ihr Sport langfristig etabliert.
Fotocredits: Oded Balilty
(dpa) (dpa)