Nowosibirsk – Wie wurde aus dem wilden Wolf ein schwanzwedelnder Couch-Fluffi? Auf wohl einmalige Weise lässt das ein seit gut 60 Jahren in Russland laufendes Experiment erahnen.
Seit den 1950er Jahren werden dort Silberfüchse – eine spezielle Farbvariante des Rotfuchses – auf eine besondere Eigenheit hin gezüchtet: Freundlichkeit dem Menschen gegenüber.
Es war der russische Biologe Dmitri Beljajew, der das Experiment zur Blütezeit der Sowjetunion startete. Er wollte prüfen, ob sich Füchse ebenso domestizieren lassen wie einst der Wolf. «Das Experiment hat unser Verständnis des Zähmungsprozesses erneuert», sagt der US-Forscher Lee Dugatkin, der ein
Buch über das Projekt geschrieben hat. Das Fuchs-Experiment gebe Einblicke, wie dieser Prozess abläuft.
Im Herzen Sibiriens etablierte Beljajew zusammen mit der Biologin Ludmila Trut dafür eine besondere Fuchs-Farm nahe Nowosibirsk. In langen Reihen stehen dort Holzhütten mit Auslaufgehegen für die Tiere. Von Generation zu Generation werden die zahmsten Silberfüchse gesucht und weitervermehrt. «Es wird getestet, wie sozial sie sich zu Menschen verhalten», erklärt Dugatkin, der die Farm mehrfach besuchte. «Zehn Prozent der sozialsten Tiere werden ausgewählt.»
Anfangs änderte sich kaum etwas, die Füchse blieben aggressiv und bleckten angriffslustig knurrend die Zähne, wenn sich ein Mensch näherte. 1963 aber wurde ein Männchen namens Ember geboren, wie Dugatkin in seinem gemeinsam mit der inzwischen 84-jährigen Ludmila Trut verfassten Buch «Füchse zähmen» schreibt. Embers Besonderheit: Er wedelte heftig mit seinem Schwänzchen – eine Verhaltensweise, die bis dahin nur Hunde gezeigt hatten.
Immer neue Eigenschaften kamen hinzu: Die Tiere leckten die Hände ihrer Betreuer, rollten sich auf den Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen, behielten ihre Welpen-Verspieltheit länger als ihre wilde Verwandtschaft. «Diese zahmeren Füchse schienen einfach nicht erwachsen werden zu wollen», so Dugatkin.
60 Jahre seien ein «evolutionärer Wimpernschlag», sagt Dugatkin, Evolutionsbiologe an der University of Louisville. Und doch reichte diese Zeit aus, um die eigentlich als Einzelgänger lebenden Füchse immer hundeähnlicher werden zu lassen. «Die gezähmten Füchse sind nicht nur so ruhig wie ein Schoßhund», sagt Dugatkin. «Inzwischen sehen viele der Füchse auch aus wie Hunde. Sie haben kurze, runde Schnauzen, Ringelschwänze und Schlappohren.»
Beljajew reichte Artikel bei internationalen Fachjournalen ein. Seine Theorie weitete er auf ein weiteres seiner Ansicht nach domestiziertes Lebewesen aus: den Menschen. «Im Grunde sind wir domestizierte – selbstdomestizierte – Primaten», erklärt Dugatkin.
Beljajew starb 1985. Sein Projekt lebte unter Ludmila Truts Führung weiter. «Niedliche, flauschige, entzückende Schlingel» seien ihre Füchse, meint Trut. Seit einiger Zeit vermittelt sie ihre Lieblinge als Haustiere – auch nach Westeuropa und Nordamerika und zum stolzen Preis von rund 5000 US-Dollar (4200 Euro). Dugatkin schätzt die Zahl in den vergangenen fünf Jahren verkaufter Tiere auf einige Dutzend.
Zwar würden die Füchse von den Züchtern nicht ausgebildet und die Käufer müssten selbst dafür sorgen, dass die Tiere stubenrein werden, sagt der US-Forscher. Aber: «Sie sind gut zu trainieren, und die Gefahr für ein Herrchen, von einem domestizierten Fuchs gebissen zu werden, ist nicht größer, als von einem Hund gebissen zu werden.»
Eine unangenehme Eigenart ihrer wilden Vorfahren haben die Tiere allerdings nicht abgelegt, wie Dugatkin sagt. «Sie haben einen strengen Geruch, ein wenig wie Moschus.»
Fotocredits: Institute Cytology and Genetics
(dpa) (dpa)